Montag, 29. November 2010

Der ehrenamtliche Sanitäter

Unser Rettungssystem wäre ohne ehrenamtlich mitarbeitende Menschen nicht vorzustellen. Man muss diesen Menschen großes Lob aussprechen, dass sie ihre Freizeit in den Dienst der Allgemeinheit stellen.
Aber man muss auch kritisch hinterfragen, ob die Ehrenamtlichkeit alles rechtfertigt. Vereine und Organisationen mit Uniformen ziehen bestimmte Menschentypen magisch an. Und nicht jeder Mensch hat die Befähigung ein guter Sanitäter zu werden oder das Geschick mit anderen Menschen (vor allem in Stresssituationen) zu interagieren. Grob zusammengefasst habe ich für mich vier Kategorien von ehrenamtlichen Sanitätern definiert, in die ich mich und meine Kollegen einteile:

Der hilflose Helfer
Er bekommt weder einen Draht zu Kollegen noch zu Patienten. Medizinisch ist er auch nur soweit interessiert, wie es unbedingt notwendig ist. Aber er genießt das Mitschwimmen in dieser Uniform-Gemeinschaftssuppe. Auf Anweisung macht er alles was man ihm sagt und er ist froh, wenn er nicht selbst Entscheidungen treffen muss. Schwimmt mit, fällt dabei nur auf wenn er Fehler macht.

Der Rettungsrambo (auch „Wanna-be-Dr.House“):
Ein Theoretiker wie er im Buche steht. Er rezitiert das SanGesetz und die Schulungsunterlagen ungefragt und oft, ignoriert Anweisungen von seinen Kollegen. Über die Bedürfnisse des Patienten weiß er selbst am besten Bescheid und jagt an therapeutischen Maßnahmen alles raus, was er jemals irgendwann gelernt hat. Was ihm an Erfahrung fehlt, macht er mit Größenwahn wett.

Der Sozialarbeiter:
Medizinisch nicht so sehr interessiert, mag aber die Action und das Zusammensein mit den Kollegen. Betreut die Patienten vor allen Dingen psychisch und kennt innerhalb einer zehnminütigen Autofahrt deren Lebensgeschichte. Nicht selten auch außerhalb des Dienstes ein guter Freund in der kollegialen Gemeinschaft.

Der Paramedic:
Er ist sowohl menschlich wie auch medizinisch eine wunderbare Ergänzung für das Team. Hauptamtliche Kollegen respektieren und schätzen seine Leistung, ehrenamtliche Kollegen freuen sich mit ihm Dienst zu machen. Man kann sich in nahezu jeder Hinsicht auf ihn verlassen und darf darauf vertrauen, dass er ordentlich und akkurat arbeitet. Er kompensiert die Schwächen des Teams mit seinen Stärken.

Mir ist es ein besonderes Anliegen, sich selbst und seine Rolle im Rettungsdienst immer kritisch zu hinterfragen. Letztlich geht es im Ernstfall doch um ein Menschenleben – vielleicht sogar um das eigene – und da muss der Sanitäter einfach wissen was er kann. Die Praxis zeigt natürlich jeden Tag ihre bösartige Fratze, wenn man Kollegen mitzieht, die körperlich oder psychisch nicht geeignet sind, die medizinisch eigentlich gar nicht interessiert sind, die letztlich einen vollkommen fehlgeleiteten Hang zur Selbstdarstellung zeigen. Aber so ist das nun mal und das ist die bittere Realität. Rette sich wer kann… Glücklicher Weise überwiegt aber die Zahl der von mir benannten „Paramedics“ und die Namen der Rettungsrambos und Hilflosen Helfer kennt man recht schnell und kann deren Engagement entsprechend leiten. Denn rauswerfen will man eigentlich niemanden. Schließlich ist man ja sozial und schließlich benötigt man ja auch eine gewisse Quantität um sich damit in der Öffentlichkeit zu brüsten.
Manch einer sagt „Ich bin ehrenamtlich, ich kann machen was ich will und mir kann niemand was anhaben!“ – ja, selbstverständlich. Aber bitte nicht im Rettungsdienst. Ein Minimum an Disziplin muss eingehalten werden, denn sonst wäre es besser, der ehrenamtliche Sanitäter verschont die Wagenmannschaft von seiner Mithilfe. Bei der Feuerwehr gilt es, dass jeder Feuerwehrmann sein Leben in die Hände seiner Kollegen legen und sich darauf verlassen kann, dass ihn niemand im Stich lässt.
Diese Gewissheit hat der Rettungssanitäter nicht. Wenn er sein Team nicht kennt sind die nächsten zwölf Stunden nach Dienstantritt eine ungewisse Zeitspanne. Und zwölf Stunden mit einem undisziplinierten ehrenamtlichen Sanitäter auf einem Auto zu verbringen ist eine sehr lange Zeit, in der die eigenen Nerven bis aufs Maximum strapaziert werden.

Sanitätsknigge

In diversesten „infrastrukturerhaltenden“ Organisationen – vor allem wenn sie staatlich sind – geht es recht derb zu. Sätze ohne Schimpfworte hört man selten. Ructus und Flatulenz ernten tosenden Applaus, Geruch und Klang werden gerne analysiert. Ehebruch gilt als Kavaliersdelikt und wird mit „ist doch nur Sex“ abgetan. Stationen, Autos, Material und Schwesternaufenthaltszimmer in Krankenhäusern könnten Geschichten erzählen, die man sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen würde und die eine hervorragende Vorlage für Pornos abgeben würden.
In Blaulichtorganisationen gilt es, die Hackordnung einzuhalten. Wer sich mit Hierarchien nicht anfreunden kann, sollte sich besser ein anderes Hobby suchen. Natürlich bleibt ein hochrangiger Idiot immer noch ein Idiot und sobald er in Privatkleidung vor einem steht ist er nicht wichtiger als ein Buschauffeur oder irgendein Passant. Aber innerhalb der Dienstzeit ist der Dienstgrad unbedingt einzuhalten und zu respektieren. Neunzig Prozent der Arbeit in Blaulichtorganisationen ist die Klärung von Haftungsfragen. Daher ist Anweisungen von diensthöheren Personen unbedingt Folge zu leisten, denn die haften für alles, was passiert. Soviel Professionalität sollte jeder mitbringen, um mit diesem Umstand fertig zu werden. Auch hier gilt wieder: Kreative Selbstverwirklichung ist eine wunderbare Sache, aber nicht im Rettungsdienst. Egal ob ehrenamtlich oder nicht.

Jeder (an Dienstjahren) junge Kollege muss dies mit- und durchmachen, dann wird er auch schnell in die Gemeinschaft aufgenommen. Die nachfolgenden Eigenschaften begünstigen diesen Prozess.  

# Höflichkeit: Teamintern vermeintlich unwichtig, aber man unterschätzt die sensible Ader der Sanitäter. Grüßen, bedanken (wobei hier nicht zwingend ein „Danke“ von Nöten ist sondern auch ein „geil“, „leiwand“, „passt“ die erwünschte Bestätigung bilden kann), ein bisschen zuvorkommend sein, klare Antworten geben und die Kollegen davon in Kenntnis setzen, wenn man das Auto, den Raum oder das Team für einen längeren Zeitraum als eine Minute verlässt. Auch dies hat wieder einen haftungstechnischen Hintergrund und ist für die Zusammenarbeit einfach wichtig. Es macht einen Unterschied ob ich mich kurz entferne weil ich auf die Toilette gehe oder weil ich Material austausche und das Auto damit auch nicht einsatzbereit ist (was im Übrigen auch der Leitstelle mitzuteilen ist).

# Kritikfähigkeit: Kritik kann unsere Freundin sein, selbst wenn sie uns nicht gefällt. Gerade als junger Kollege sollte man diese durchaus einholen, wenn sie nicht von alleine kommt. Nur so kann man über sich hinauswachsen und besser werden.
Wichtig:
- Kritik sollte in einem vertrauten Kreis stattfinden. Nicht vor Patienten, der Leitstelle, Krankenhauspersonal oder den Kollegen im Mannschaftsraum. Ich persönlich gebe meine Kritik gerne nach dem Einsatz ab, wenn man sich wieder im Auto einfindet und auf den nächsten Einsatz wartet.
- Für Kritik sollte man sich nicht rechtfertigen. Wozu auch, es ändert ja nichts mehr daran. Wenn der Kritiker den Grund dafür wissen will, fragt er ohnedies nach. Aber bis dahin sollte man die Kritik einfach mal annehmen ohne sie zu verleugnen.
- Junge Kollegen dürfen ihren Praxisanleiter oder Einschuler ebenso kritisieren. Sie dürfen sich nur nicht erwarten dass dieser sein Verhalten sofort ändert oder sich gar bedankt. Aber er wird es sich – sofern entsprechend höflich formuliert – gewiss nochmals durch den Kopf gehen lassen.

# Diskretion: Patientendaten sind zu schützen. Direkt nach dem Einsatz der besten Freundin per Handy zu erzählen, wie geil und wie toll usw. das alles war, wirkt wenig professionell. Und auch gerade in Zeiten von Social Network und Blog ist es nicht angebracht dies öffentlich breitzutreten.
Mal ein bisschen aus dem Nähkästchen (bzw. Verbandskästchen) zu erzählen ist kein Problem, aber stetiges Betonen der eigenen Wichtigkeit und was man nicht alles geleistet hat ist absolut unerwünscht und bringt in Summe bei den Kollegen nur ein genervtes Naserümpfen.

# Disziplin: auch Arbeiten zu machen, die einem nicht gefallen oder sogar sehr anstrengen. Irgendwer muss es ja machen, und im Zweifelsfall macht es immer der Praktikant, denn der muss es lernen.

# Respekt: Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück.
Patienten, Zivildiener, Kollegen, Krankenhauspersonal, Ärzte, die Putzfrau die den Mannschaftsraum aufwischt: Jeder hat Respekt verdient, und will man selbst respektvoll behandelt werden, muss man sich eben auch so verhalten.
Im Rettungsdienst heißt Respekt aber auch, dass ich die Ungleichberechtigung akzeptiere.
Wenn der Praxisanleiter Fotos von der Mannschaft macht, heißt das noch lange nicht dass der Praktikant das auch darf. Wenn der Praxisanleiter raucht ist dies kein Freibrief für den Praktikanten zu rauchen. Auch hier bietet es sich an kurz nachzufragen ob man auch rauchen darf oder ob noch etwas zu tun ist (z.B. den Tragesessel reinigen, Material nachfüllen, etc. ).

Es gibt natürlich noch weit mehr Eigenschaften die ich mir persönlich wünsche, aber das sind nach meiner Definition die Wichtigsten. Berücksichtigt man diese simplen Punkte wird man sich recht bald inmitten einer rülpsenden und furzenden Partie finden, die einen ermuntert ruhig auch mal einen Schluck Cola zu nehmen und das Alphabet aufzustoßen.

Sonntag, 28. November 2010

Prolog


Gewidmet:
Vor allen Dingen meiner allerersten Patientin Frau N., die vermutlich einige Tage nachdem ich sie transportiert habe, an ihrer Lungenentzündung verstorben ist. Außerdem den vielen anderen Patienten, an denen ich üben durfte, die mir ihre Lebensgeschichte erzählt haben, die mich beschimpft, bespuckt, begrabscht und angekotzt haben, die mir Trinkgeld gegeben haben und die sich partout nicht helfen lassen wollten…

Danke an meine Kollegen und Freunde.


Prolog
Rettungsdienst ist knallhart. Wer im Rettungswesen arbeitet weiß, dass es mehr ist als nur in seiner Freizeit ab und zu dem Patienten die Hand zu halten und sich dessen Lebensgeschichte anzuhören. Und es ist weniger als Baywatch und Emergency-Room. Rettungsdienst ist Scheiße, Pisse und Kotze. Und ab und zu ein bisschen Blut. Rettungsdienst ist fette Menschen aus dem 5 Stock eines Altbaus ohne Lift in einem kaputten Stiegenhaus runterzutragen und sich dabei mit einer an Manie grenzenden Leidenschaft den  Rücken zu ruinieren. Rettungsdienst ist dort draufzugreifen wo kein normaler Mensch mehr hinfassen möchte. Im Rettungsdienst oder anderen Organisationen wie der Feuerwehr, der Polizei und ähnlichem zu arbeiten, hat irgendwie etwas von „behind the scenes“ sein. Wer seine Uniform trägt darf sich auf nichts verlassen und muss mit allem rechnen. Vorallem aber damit, dass es schon nicht so schlimm sein wird.
Mit den nachfolgenden Sätzen, Zeilen und Seiten möchte ich eine Lanze für unser doch – alles in allem – gutes Rettungssystem brechen und für die Menschen, die Tag für Tag ihr eigenes Leben hintan stellen um den Leuten da draußen dasselbige zu erleichtern ein gutes Wort einlegen. Denn auch wenn sie unfreundlich sind: Sie machen ihren Job. Ohne Rücksicht auf Verluste.
 Abschließend möchte ich noch betonen: Es gibt so viele Sanitäter, die so viel mehr zu erzählen hätten als ich. Leider fehlt den meisten von ihnen aber wohl die Zeit und die Ruhe ein Buch zu schreiben. Sofern sie dieses Buch lesen hoffe ich, dass ich stellvertretend für sie den einen oder anderen Satz niedergeschrieben habe. Darüber hinaus ist dieses Buch meine Liebeserklärung an die Notfallmedizin, mit all ihren grausigen und bösartigen, lustigen und berührenden Seiten. Rettungsdienst ist meine Leidenschaft und ich kann mir nicht vorstellen  die Uniform jemals an den Nagel zu hängen. Niemals.  Nachfolgend werde ich auf gegenderte political correctness verzichten. Wir sind hier nicht auf einem bunten Ponyhof sondern bei der Rettung, wo es in erster Linie um geschlechtsneutrale Leistung geht. Und danach kommt lange nichts.