Dienstag, 21. Juni 2011

Bloody Mary


Von mir behaupte ich ich wäre eine gute Sanitäterin. Courage, spezifisches Fachwissen, Allgemeinbildung, bliblobla – ich hab’s einfach drauf. Bloody Mary jedoch hat mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, weil nämlich alle Kompetenz für die Fisch‘ ist, wenn der Patient … nun, ich will mal sagen: auf mich scheißt. Nicht direkt physisch, aber viel hätte wohl nicht mehr gefehlt.
Wir sind also am Einrücken, das Garagentor öffnet sich gerade, da erzählt uns der Funk dass wir doch bitte noch zackig zu einer U-Bahn-Station fahren sollen – weitere Details erreichen uns ehebaldigst. Nun gut, wir waren ja ohne Ende motiviert und haben ja ohnehin nur drauf gewartet, endlich die große Action zu erleben. Pureboy und ich sind also zügig zur U6 gedüst und waren gespannt auf die Verletzung einer möglicherweise gefährlichen Körperregion. Auto ab, Handschuhe an, Aktivitätsmodus auf 100 Prozent – aber wo ist der Patient? Spinnensensoren, weibliche Intuition, Skill und Erfahrung haben gemacht, dass wir zufällig den richtigen Stiegenaufgang hochgegangen sind und da saß sie: Mary, die wir angesichts ihrer Verletzungen „Bloody Mary“ genannt haben. Mary hatte sich wohl im Zuge ihres Borderline-Syndroms (wobei ich dieses ernste Krankheitsbild ungern ohne psychologische Diagnose verwenden möchte) ein hübsches Kreuz in die Ellenbeuge und einige Kratzer in den Unterarm geritzt. Mit einer sauberen Rasierklinge, wie sie sagt. Um sie herum etwa 5-8 Ersthelfer, die sich redlich um die 150cm/35-kg Prinzessin bemüht haben und dabei sogar selbst mit Marys Blut besudelt waren, lieb auf sie eingeredet haben und sich dann doch von ihr beschimpfen lassen mussten. Als wir hinkamen, habe ich natürlich zunächst versucht nett zu sein. Ich will mich ja nicht um die Patientenkooperation bringen, will das alles möglichst entspannt zu Ende bringen und für alle Beteiligten einen stressfreien Umgang mit der Situation haben. Mary hat das aber nicht die Bohne interessiert. Ich denke, es war ihr sogar scheißegal. Jetzt also die Herangehensweise: Mary, was ist denn los? Was ist passiert und wo hast du dich überall geschnitten? Marys Antwort, die wir im Zuge des Einsatzes mehrfach zu hören bekommen haben: „Mir egal, geht’s scheißen!“.
 Gut, etwas mehr Nachdruck: „Mary, wir können dich so nicht dalassen. Die Leute hier haben sich sehr um dich bemüht, du kannst aber so nicht draußen herumlaufen und alles vollbluten. Möchtest du mal herzeigen was du gemacht hast?“
Mary: „Das ist mein Körper, ich kann machen was ich will!“
Ich: „Das ist vollkommen richtig, niemand will dir deinen Körper nehmen und du kannst in der Tat alles machen was du willst – aber nicht hier in der Öffentlichkeit, nicht so dass du andere Leute vollblutest und nicht so dass du bei dem Dreck mit offenen Wunden herumsitzt und den ganzen Dreck da reinlasst – aber sag mal, wie geht’s dir denn sonst? Hast du was getrunken, ist dir schlecht? Magst du irgendwas erzählen?“
Mary: „Mir egal, geht’s scheißen! Ich will nach Hause.“
Ahja, ok. Zwischendurch habe ich mich bei den Ersthelfern bedankt und ihnen angeboten, dass sie ohne weiteres gehen können oder sich mal bei uns die Hände grob reinigen. Mary lehnte inzwischen immernoch heulend an der Wand –jedoch durfte ich mittlerweile schon mal einen ersten Blick auf die Wunde werfen. Ich behaupte normalerweise immer, ich würde mit Terroristen nicht verhandeln (und Mary hätte sich definitiv ihren Platz als autonome Terrorzelle verdient) aber bei Mary war ein Vorankommen anders nicht möglich. Also habe ich gehofft, dass man auch mit kleinen Schritten ans Ziel kommt, und das wäre gewesen die Süße ohne Grobheiten oder sonstigen Anspannungen in eine Ambulanz zu bringen um die Wunden sinnvoll zu reinigen, die Ränder zu glätten und ggf. zu nähen. Begutachtungswürdig wäre es allemal gewesen.
Mary hat also die ganze Zeit gejammert dass sie uns alle Scheiße findet und wir alle voll die Spießer wären und sie doch machen könne was sie wolle und niemand versteht sie,… Nunja, mir ist dann der Kragen geplatzt, ich habe Mary an der Schulter gehalten und sie zu mir gedreht und  gesagt „Mary, niemand will dir was böses, wir Idioten sind alle nur da um dir zu helfen und von uns kann niemand was dafür dass es dir so schlecht geht. Aber wir wollen jetzt, dass diese Situation möglichst entspannt endet, und dass dir nichts schlimmes passiert, und darum wär‘s cool wenn ich jetzt wenigstens mal einen Verband machen kann, und dann sehen wir weiter!“.
„Ok“.
Moment, hat die Kleine gerade ernsthaft „OK“ gesagt? Unfassbar. Ich war glücklich. „Kannst du mithelfen?“ habe ich sie gefragt, um ihr die Möglichkeit zu geben selbst ein Stopp einzubauen oder eine Form von „Kontrolle“ über die Situation zu haben. „Ja klar“. Schon wieder war ich perplex. „Klasse, danke dir Mary!“. Ich habe vorsichtig versucht die Wunde abzutupfen, das Blut war weitestgehend gestockt und es war nicht dramatisch, hätte aber eben wirklich genäht gehört. „Halt mal den Arm hoch, drück mal hier drauf – so, wir sind fertig! Toll mitgemacht!“ – ich dachte schon wir wären über die bockige Phase hinaus, jedoch weit gefehlt. Nach Marys Erklärung, sie wäre immun gegen Schmerz und würde das öfters machen, habe ich ihr vorgeschlagen, dass wir – einfach um den ganzen Blödsinn hier abzuschließen – in ein Spital fahren, dann is sie in 1-2 Stunden jeden von uns „Idioten“ los und sie kann wieder tun was sie will, bloß so lassen darf ich sie nicht und ob sie das verstehen würde.
„Mir egal! Ich will jetzt gehen“
Ach du Scheiße… Nagut, ich will doch aber wieder zu dem Punkt zurück wo wir cool miteinander waren. „Ok Mary, zeig mir dass du gehen kannst und wir können drüber reden, aber ich glaube nicht…“ und Mary stand auf und lief los, die Stiegen runter, um die Ecke, bis zu den Fahrkartenentwertern, wo sie die Kurve nicht mehr gekriegt hat und dann wieder auf dem Boden lag. Grad als sie sich aufrappeln wollte, habe ich sie am Arm gepackt und gesagt „So, Schluss jetzt. Du setzt dich jetzt hier her und gibst mal Ruhe. Was soll denn das?!“
„Ich kenne meine Rechte, du darfst mich nicht festhalten! Ich will stehen bleiben.“
„Jap, richtig, darf ich nicht. Aber ich darf dich dran hindern dass du dich wie ein Idiot aufführst und es wär echt cool wenn wir das gechillt abhandeln könnten ohne dass wir uns so aufführen müssen. Also, wie schauts aus?“
Mary: „Ja, chill’ma halt!“
Ich: „Ok, dann..“
Mary: „Was ist das? Ich will das nicht!!!“ – Mary reißt sich den Verband runter und verlangt eine Zigarette.
Ich: „Mary, was soll die Scheiße? Ich dachte wir hätten einen Deal!“
Mary: „Mir egal, geh‘ scheißen!!!“
Ich: „Aha. Ok. Pass auf, wir haben jetzt zwei Möglichkeiten: Du benimmst dich, kommst mit uns in ein Krankenhaus und wir sind alle cool miteiandern, oder Variante zwei: Ich hol jetzt die Polizei weil ich mir nicht weiter anschauen werde wie du hier alle und alles vollblutest. Die Polizei legt dir dann die Handschellen an und dann ist überhaupt nichts mehr cool und entspannt sondern mir geht alles nur noch auf die Nerven. Also tu mir den Gefallen und erspar uns beiden diesen unnötigen Blödsinn“.
Ich muss gestehen, ich habe sicher schon ein bisschen geschrien obwohl so was eigentlich gar nicht mein Ding ist, aber ich wusste einfach nicht mehr weiter.
„Warum darf ich mit meinem Körper nicht machen was ich will?“ fragt Mary, die mittlerweile wieder weinend mit ihrer Zigarette in einer Nische gesessen ist.  
„Du kannst machen was du willst, aber mach so eine Scheiße zu Hause, dann interessiert es niemanden von uns. Hier bist du aber in der Öffentlichkeit und da geht so was halt nicht. Ich bin die letzte die dir irgendwas vorschreiben würde aber hier mach ich meinen Job und der ist, dass diese Wunde irgendwie verschlossen wird und nachdem du deinen Verband runtergerissen hast, muss ich davon ausgehen dass du den Ernst der Lage nicht verstanden hast und damit hast du deine Freikarte für „Ich mach was ich will“ verspielt. Also, was tun wir jetzt, Mary?“
„Krankenhaus“…
Huch, plötzlich wieder kooperativ? Ich hatte schon das Journal angewählt um einen Streifenwagen zu bestellen.
„Saugut. Möchtest du alleine gehen oder ist es ok wenn er dich stützt?“ und deute auf den Pureboy.
„Er kann mitkommen!“ – Nochmal saugut. Danke Mary! Ich lächle sie an und erzähle ihr wo wir hinfahren und was weiter passiert und dass sie jederzeit sagen kann wenn irgendwas nicht passt. Im Auto erzählt Mary dass wir Glück haben, dass sie so betrunken ist und Beruhigungsmittel genommen hat weil sie ein „Schlägerweib“ ist und Leute verprügelt wenn sie sie blöd anmachen, und dass sie bei einer 1-Euro-Münze das Innenteil mit nur einem Finger rausgeschlagen hat und das jetzt als Ring trägt. Ahja. Nagut. Auf Pureboys Fragen nach Name, Geburtstag oder ähnliches antwortet sie, dass sie ihre Rechte kennen würde und uns nix sagen muss, sie werde nämlich polizeilich gesucht und das ist ihr zu riskant. Mhm. Ok. Wir würden auch keine Ahnung haben was sie schon alles erlebt und durchgemacht hat. Ahja. Drama, Baby. Wo ist da Bruce Darnell, wenn man ihn braucht?
Im Krankenhaus übergebe ich der Aufnahmeschwester die liebe Mary, erzähle ihr eben was los ist, aber dass sie soweit jetzt kooperativ ist und eben mit etwas gutem Zureden und etwas Bestimmtheit durchaus macht, was nötig ist. „Mir egal, setzt‘ sie draußen hin!“
Schon wieder dieser Satz. Mary sage ich, sie soll sich mal kurz da drüben hinsetzen, es kommt dann gleich wer zu ihr. Mary bockt „Nein, ich will hier stehen bleiben!“ – „Ok, dann bleib stehen!“
Die Schwester kommt und fragt Mary nach ihrem Namen, Mary bockt wieder und sagt, dass das niemand etwas anginge. „Ja, mir egal, dann sagst du deinen Namen halt nicht!“ – „Mir auch egal, ich geh jetzt!“ krakehlt Mary und setzt an loszurennen. Ich packe Mary wieder am Arm und frage sie, ob das jetzt ihr Ernst wäre. Sie jammert wieder dass ich sie loslassen solle und dass ich das nicht dürfe und sie kenne ihre Rechte… -„Mary, du hast dir diverse Freikarten verspielt, du bist nicht mal Erwachsen, du hast keine Erwachsenenrechte und  du setzt dich da jetzt hin und gibst Ruhe und wirst dir das behandeln lassen und DANN – dann kannst du wieder machen was du willst aber das geht mir jetzt wirklich total auf die Nerven…!“ Bums, großer Fehler, so viel Schwäche zu zeigen und ihr so viel Macht zu geben. Naja, drauf geschissen, mal schauen wie sie…
„Mir egal!!!“
Boah, dieser Satz… „Mary, kannst du noch irgendwas andres sagen als ‚mir egal!!!‘ ? Ganz ehrlich, das ist dermaßen kindisch, und wo willst du jetzt vor allem hin? Du weißt doch nicht mal wo du bist!“
„Klar, ich fahr jetzt nach Hause. Wo ist hier die nächste U-Bahn?“ und dann lacht die Kröte auch noch.  Pureboy schaltet sich ein und sagt „Euda, Mary, du musst ja selbst schon lachen. Komm, sei nicht blöd, jetzt sind wir schon da…“ – Mary hat sich während wir geredet haben die ganze Zeit selbst die Wunde exzidiert und drauf herumgedrückt. Und plötzlich läuft sie los. Ziellos, in irgend eine Richtung. Rennt im Kreis einmal um die Unfallambulanz und Richtung Hauptausgang. Mhm. Mein fragender Blick Richtung Schwester hat dieser nur ein Schulterzucken und ein „Lasst sie halt gehen, wenn sie glaubt. Wir halten niemanden fest!“ entlockt.
Und dann sind auch wir gegangen. Unnötig, der ganze Mist. Außer Spesen nichts gewesen. Ich kann garnicht sagen wie unbefriedigend es ist, nur Material und Zeit zu verscheißen und dann zu wissen dass Mary jetzt vielleicht in irgend einem Gebüsch ihren Rausch ausschläft und in zwei Tagen wieder von irgendwem geholt wird. Auch wenn wir unter’m Strich nach Dienstende drüber gelacht haben: Traurig ist das schon, irgendwie.

Montag, 16. Mai 2011

Die Maut. Eine Geschichte voller Missverständnisse.


Gibt es Faktoren, die die Gönnerhaftigkeit unserer Patienten beeinflusst? Ich glaube nicht. Wer Trinkgeld geben will, der gibt. Mir fällt dies besonders dann auf, wenn ich Beifahrer habe, die sehr fixiert auf Trinkgeld sind. Ich beobachte dann immer wie sie versuchen besonders charmant und schmeichelhaft auf die Patienten einzureden, gerne auch ein bisschen auf die Tränendrüse drücken und dann aber doch wieder furchtbar enttäuscht sind, weil die Pensionistin mit der Mindestrente nur zwei Euro rausrückt. Für mich ist das immer ein bisschen demotivierend mit solchen Menschen zusammenzuarbeiten. Nichts gegen Prostitution, ein bisschen „Hure“ ist ja jeder von uns. Aber wenn ich meine gute Laune von den Almosen meiner Patienten abhängig mache, dann läuft hier doch irgendwas komplett falsch.
Warum Patienten überhaupt Maut geben ist mir nicht ganz klar. Ich würde von mir aus nie auf die Idee kommen medizinischem Personal Geld für die geleistete Arbeit zu geben – aber natürlich freue ich mich auch wenn ich weiß, dass das heutige Mittagessen nicht aus eigener Tasche gezahlt wird. Und darum fahre ich auch lieber nur mit einem einzelnen Beifahrer. Durch zwei lässt sich irgendwie leichter teilen als durch drei.
Reiche Leute beispielsweise geben erstaunlich wenig Maut. Liegt das an unserer Erwartungshaltung, weil wir Prunk und Glanz sehen und dann natürlich enttäuscht sind wenn es nur fünf Euro gibt? Reiche Menschen sind ja deshalb reich, weil sie ihr Geld BEHALTEN. Würden sie es über den gesamten Globus verteilen wären sie ja nicht mehr reich. Ärmlich wirkende hingegen zeigen sich häufig erstaunlich großzügig. Weil ich mit der Zeit wirklich ein schlechtes Gewissen entwickelt habe wenn ich von solchen Menschen Geld annehme, habe ich mir angewöhnt von diesen Leuten das Geld abzulehnen oder sie um eine etwas kleinere, angemessene Summe zu bitten, wenn sie sehr darauf beharren uns etwas zu geben.
Ein wenig beleidigt fühle ich mich, wenn die Mannschaft zum Wunschbrunnen avanciert. Es gibt Leute die scheinbar denken, sie könnten ihr ganzes Kleingeld bei uns loswerden. Auch hier habe ich mir angewöhnt dankend aber vehement abzulehnen.
So versuche ich nun also meine Erwartungshaltung so gering wie möglich zu halten und bin über alle Maße happy wenn unter’m Strich jeder mit 5€ aussteigt. Reich und berühmt werd ich ja ohnehin noch früh genug. Haha.

Dienstag, 10. Mai 2011

Disziplin und Pflichtgefühl – eine Utopie (?)


Von allen Jobs, die ich bisher hatte (und das waren einige) habe ich mich auf keinen gefreut. Heute ist es so, dass ich zu Hause sitze und angesichts meiner zwei freien Tage wirklich überlege, was mich wohl an meinem nächsten Arbeitstag erwarten wird. Mitwelchem Wagen ich fahren werde, ob mein geliebter Johnnie wieder in der Garage steht und wer wohl mein Beifahrer sein wird. Alles in allem kreisen meine Gedanken also viel um die Arbeit, aber ohne mich dabei zu belasten. Und das find‘ ich doch irgendwie sehr schön. Auch zuhause rede ich viel und gerne von der Arbeit und überlege was ich besser oder anders machen könnte. Rückschläge oder anstrengende Tage sind schnell vergessen wenn ich dafür das Gefühl habe unter’m Strich doch wieder eine gute Leistung gezeigt und unsere Passagiere mit einem Lächeln ans Ziel gebracht zu haben.
Woher kommt das? Ist das damit zu begründen, dass wir uns durch unsere Uniformierung irgendwie verbundener zueinander fühlen? Oder weil man – wenn man sich trifft – automatisch von irgendwo ein gemeinsames Feindbild aufbaut und sich gegen dieses verbündet?
Nun, wie auch immer die Antwort lautet: ich liebe meinen Job. Noch schöner wäre es, wenn die Rahmenbedingungen nicht so belastend wären aber noch überwiegt die Zeit, in der das Arbeiten flüssig und rund geht. Ich verspüre immer ein besonderes Bedürfnis mich in der Öffentlichkeit vernünftig und sympathisch zu präsentieren, da ich ja nach außen hin eine Rettungsorganisation vertrete. Interessant ist es hierbei, wenn man mit Kollegen spricht. Jeder empfindet das ein bisschen anders, jeder legt auf andere Dinge wert und für jeden sind andere Prinzipien ausschlaggebend für die Wirkung in der Öffentlichkeit.
Mein Lieblingsinstrument hierfür ist die bedingungslose Höflichkeit, sowohl gegenüber den Patienten als auch gegenüber den Kollegen. Das Leben ist so viel einfacher wenn man auf höfliche und respektvolle Weise die Grenzen abstecken kann. Ist Disziplin also tatsächlich nur das Abarbeiten eines vorgegeben Verhaltensalgorithmus? Ich glaube nicht. Diszipliniertes Arbeiten manifestiert sich nicht durch blinden Gehorsam sondern durch eine selbstkritische Leistungsbereitschaft. Im Sinne des Qualitätsmanagements sollte man hier also vor allem mit den Patienten und in weiterer Folge mit den Kollegen sprechen, um Qualitätsmanagement sinnvoll durchzuführen. Hoffentlich wird man also irgendwann aufhören, die Kollegen zu quälen weil sie einen nicht uniformkonformen Schal tragen und vielleicht genauer hinterfragen ob es nicht doch wichtiger wäre auf gute Arbeitsbedingungen zu achten.
In diesem Sinne:
Liebe, Licht und Sternenstaub J

Sonntag, 20. März 2011

Aus dem Nähkästchen: Drama, Baby!

Es gibt Einsätze, die sind eigentlich nicht spektakulär. Man behält sie dann jedoch als „mühsam“ in Erinnerung, weil die Rahmenbedingungen einen vor unerwartete Herausforderungen stellen. Gestern war so ein Einsatz. Nach drei sehr lieben, alten Menschen, die wir nach Hause gebracht haben, kam der erste Einsatz mit Blaulicht, Richtung 1. Bezirk. Im Schnellrestaurant wäre ein Mädchen kollabiert, das Navi mit der Stimme von Marcel Reich Ranicki hat uns zügig zum Berufungsort gebracht. Samstag abends ist es besonders mühsam sich durch die Massen zu kämpfen, die sensationsgierig mit ihren Fotohandys jeden Moment der Tragödie festhalten wollen, damit sie ihren ebenso sinnentleerten Freunden am nächsten Tag etwas zeigen und die Bedeutungslosigkeit ihres eigenen Lebens etwas überspielen können. So sind wir also nach dem Aussteigen gleich von einem Mädchen empfangen worden, das uns zwar nicht verraten hat wo unsere Patientin ist, jedoch dass sie nicht ansprechbar sei und ein Arzt dabei wäre. So so, ein Arzt. Man darf gespannt sein. Grundsätzlich bin ich – besonders wenn ich im Dienst bin – immer auf Seite der Ärzte. Was die präklinische Situation angeht bin ich mittlerweile jedoch sehr kritisch. 2008 trug es sich zu, dass ich privat zu einem Kollaps gestoßen bin und da mir die Situation etwas komisch vorkam, habe ich die vier Menschen, die sich um die Kollabierte tummelten gefragt, ob ich helfen könne, da ich Sanitäterin sei. Ich habe den Satz noch nicht beendet, da stellt sich eine der vier Ersthelferinnen als Ärztin vor, erklärt mir die Kollabierte wäre kreislaufstabil und eben nur kollabiert. Zwanzig Sekunden vergingen, da bemerkte ich die Zyanose an den Fingerspitzen und dass die junge Frau, die da am Boden lag, eine deutliche Schnappatmung hatte. Auf meine Aufforderung sie schnellstmöglich in ein Ambulanzzelt zu bringen hat sich wieder die Ärztin eingemischt und gemeint, dass das nicht nötig wäre und niemand die Patientin bewegen darf. Lange Geschichte kurz zusammengefasst: wenige Augenblicke später war sie mithilfe der Sanitäter vor Ort in einem Ambulanzzelt und wurde sofort reanimiert.
Nun war ich also gespannt was dieser Arzt an Vorarbeit geleistet hat. Endlich haben wir die Patientin – repräsentativ genau im Schaufenster gelagert, damit alle die vorbeigehen einen guten Blick auf sie haben – gefunden. Sie war in der Tat nicht ansprechbar, laut Arzt seien die Vitalparameter in Ordnung, wir sollen gleich losfahren, einen Zugang legen und eine Ringer-Lösung anhängen da die Patientin hochdosiert Flüssigkeit braucht. Wohin wir fahren und ob er mitfahren kann und…
„STOP! - Verzeihen Sie, aber würden Sie uns mal unsere Arbeit machen lassen? Ich weiß nicht wer sie sind, ob sie wirklich Arzt sind und ich bin nicht bereit hier inmitten zig Schaulustiger Leute zu arbeiten. Wir hauen die Patienten zuallererst mal in unser Auto, dann sehen wir weiter.“
Meldet sich irgend ein Kerl dazwischen und meint „Moment mal, was heißt, sie ‚hauen‘ die Patientin in ihr Auto?“. Oh. Na toll gemacht, Manon. Ok, winde dich da mal raus…
„Nun, das heißt dass wir sie einfach schnappen und ohne Trage in unser Auto transportieren da die Situation ein Zufahren mit Trage unnötig kompliziert macht. Sie haben aber natürlich vollkommen Recht dass diese saloppe Ausdrucksweise absolut nicht angebracht ist. Thomas, würdest du mir helfen?“
Thomas und ich haben die kleine Verena geschnappt und ins Auto verfrachtet. Hinter uns wieselte der Arzt her. „Haben Sie schon einen Zugang gelegt?“ – „Nein“ antworte ich und setze an die Tür zu schließen um die restlichen Pappnasen von draußen fern zu halten, die ihre Köpfe wohl am Liebsten in den Auspuff gesteckt hätten, wenn die Chance bestünde dass sie dort einen besseren Ausblick genießen würden. „In welches Spital fahren Sie? Wann stechen Sie den Zugang?“ – wahrheitsgemäß antworte ich „Das weiß ich noch nicht und wir haben keinen Arzt mit und sind selbst alle nur Rettungssanitäter und daher nicht berechtigt Zugänge zu stechen.“ – „Na, dann stech‘ ich ihn!“ schnauft unser Doktor genervt und setzt an mich zur Seite zu schieben.  Ahja. Na klar. Und einen Kehlkopfschnitt machen wir auch noch damit die Patientin besser beatmet werden kann, oder was?“
„Immer langsam, da kann ja jeder daherkommen. Können Sie sich ausweisen?“ – Nochmal genervt in die Richtung seiner Freundin, diese soll ihm seinen Ärzteausweis reichen. „Zufrieden?“ fragt er mich in einem Ton der mir wohl suggerieren sollte ich würde in seinen Augen unendlich inkompetent sein. „Ja, enorm…“ antworte ich ebenso genervt, bitte Thomas alles herzurichten und rufe in der Leitstelle an um eben ein Bett abzubuchen und nachzufragen wie ich mich verhalten soll wenn uns ein Arzt zuläuft und der sich nicht abhalten lässt etwas zu machen. An dieser Stelle möchte ich betonen: Verena ging es den Umständen entsprechend gut. Sie hat sich übergeben, hat kurz artikuliert, dass ihr kalt wäre und auf die Schmerzreizklassiker reagiert. Herz, was willst du von einem jungen, betrunkenen Menschen mehr? Der Arzt hatte jedoch keine Gnade mit Verena. Es MUSS ein Zugang in das unterkühlte Ärmchen. Jetzt. Oder lieber schon vor 10 Minuten. Während ich von draußen zusehe ob Thomas Hilfe benötigt und mit der Leitstelle spreche, schleicht einer dieser Party-Fotografen um das Auto herum und hält die Kamera auf den Patientenraum. Es sind Momente wie diese, in denen ich es sehr genieße die Uniform zu tragen und wieder weiß, warum ICH das alles mache: Weil ich Schaulustige hasse. Ich stoße den Fotografen beiseite, schreie ihn an dass er sich vom Acker machen soll und weise meine Umwelt ganz deutlich darauf hin, dass dieser lüsterne Mensch hier gerade im Begriff war, die Privatsphäre unserer Patientin zu verletzen und uns bei der Arbeit zu stören. „Schleich dich“ brülle ich hinterher und wende mich sogleich wieder dem Leitstellendisponenten zu, der mich mahnt ganz genau die Daten des Arztes zu notieren. Luki hält sich nobel zurück, kümmert sich um die Freundin von Verena und beruhigt diese. „Es geht ins Wilhelminenspital“ krakele ich ziellos in das Auto. Luki nickt, der Doktor fragt „Warum nicht in das AKH?“ – Luki: „weil wir auf das Auswählen der Betten keinen Einfluss haben. Vermutlich ist das AKH zu“.
Ich will hinten zusteigen und stelle fest: Kein Zugang. Verena Ärmchen ist ungestochen. „Ok, möchten Sie jetzt noch einen Zugang legen oder nicht?“ – „Auf jeden Fall, aber fahren wir erstmal los!“ antwortet der Doc – „Während der Fahrt werden Sie auf keinen Fall einen Zugang stechen. Entweder jetzt oder garnicht.“ Genervtes Schnaufen vom Doc. Den Stauschlauch wickelt er um Verenas Oberärmchen, Verena zeigt Abwehrreaktionen und beugt den Arm wieder Richtung Körper. Doc bekommt große Augen und stammelt  „Ui, dann können wir keinen Zugang legen“. „Miaas kaaaaaaaaahlt…“ stammelt Verena und erbricht. „Luki, von uns aus geht’s“ sage ich nach vorne. Wir wollen gerade losfahren, da klopft des Arztes Freundin ans Fenster. „Sollen wir nachkommen oder zuhause auf dich warten?“ – Doc, wie immer genervt „zu Hause warten natürlich. Frag nicht immer so Schatzi, wir müssen jetzt wirklich fahren!!!“.
Während der Fahrt klart Verena etwas auf, erbricht neuerlich, fragt nach einem Taschentuch. Thomas‘ Handling ist super, obwohl ich sonst am liebsten alleine arbeite bin ich froh ihn dabei zu haben. Luki fährt schnell und schonend. Es rennt super. Ich streiche Verena über die von Schmutz und Alkohol durchgeweichten Haare. „Gleich sind wir da, Mäuschen!“ sage ich. Verena schnarcht zurück.  Im WSP angekommen empfängt uns der leere Anmeldebereich. Weit und breit keine Schwester, kein Arzt der sich für uns zuständig fühlt. Unzählige andere Patienten füllen den Warteraum. Minuten vergehen, in denen ich stetig Verena anspreche und die Schmerzreizklassiker an ihr ausprobiere, um zu eruieren ob sich ihr Zustand irgendwie ändert. Der Doc redet immer noch davon, dass er gerne einen Zugang legen würde, wir beachten ihn nicht mehr. Endlich kommt eine Schwester, ich mache meine Übergabe, der Oberarzt der Abteilung kommt hinzu. Ich hole nochmals aus, setze nochmals bei den Punkten an die er nicht mitbekommen hat. Unser Doc, der mittlerweile gesagt hat er wäre Facharzt in der Uniklinik mischt sich ein und reißt das heilige Ritual der Übergabe an sich. Ich bin satt. Die Schwester meint „Naja, eigentlich haben wir kein Bett mehr frei!“. Noch mehr satt. „…und eigentlich gehört sie auf eine Toxikologie und nicht zu uns!“. Ich kann mich nicht mehr halten: „Das ist mir durchaus klar, aber ich muss mich an die Vorgaben halten und kann für diese Patientin nur dieses Bett abbuchen. Wenn Sie uns nicht nehmen sagen Sie’s bitte bald, ich bin nicht gewillt noch weitere Zeit verstreichen zu lassen ohne eine Versorgung für sie zu bekommen.“ – Ganz davon abgesehen dass ich mir mit meiner Dienstzeit auch besseres vorstellen könnte als auf dieser Station zu stehen und deren Gemoser anzuhören. „Nein, wir nehmen Sie eh. Zimmer 1 bitte.“ In der Zwischenzeit musste ich feststellen dass wir bereits den nächsten blauen Einsatz aufgelegt bekommen haben, obwohl wir noch den Status „Am Abgabeort“ quittiert haben und von der Einsatzbereitschaft für den nächsten Rucker noch einen Stempel entfernt waren. Nachdem wir endlich alles erledigt hatten und uns noch von der Schwester anmaulen lassen konnten, warum wir ohne Notarztbegleitung gekommen sind, standen wir draußen und haben das vollgekotzte Auto gereinigt. Unser Doc gesellt sich dazu und fragt salopp: „Na, fahrt ihr zufällig Richtung innere Stadtund könnt mich irgendwo rausschmeißen?“

Samstag, 12. März 2011

Bitte nicht füttern!


Seit zwei Wochen bin ich nun wieder hauptamtliche Rettungssanitäterin. Und ich liebe es. Weil ich aber ein Mädchen bin und Mädchen immer schauen ob ihr Arsch zu dick ist, und ich diese Frage gegenwärtig leider bejahen muss, bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Sich halbwegs ausgewogen während des Dienstes zu ernähren ist fast unmöglich. Zumindest, wenn man ein paar Ansprüche an seine Ernährung stellt.
Ich erinnere mich gerne an die legendäre Folge von „Österreich isst besser“, in der die Sasha Wallewasweißich bei einem Sanitäter des Roten Kreuzes war. Viel Lärm um nichts, ein Jahr später habe ich den Kerl gesehen und er war so dick wie zuvor. Und wenn man sich die meisten Sanis ansieht, liegt der Schluss nahe, dass die Arbeit garnicht so anstrengend sein kann, wenn da lauter Dickmopse rumlaufen.
Während dieser 14 Tage habe ich nun also herumexperimentiert und geschaut was geht. Es ist wurst. Beachtet man die goldenen Regeln der Ernährungswissenschaften muss also Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Eiweiß, gesundes Fett (!) und Kohlehydrate irgendwie in das Futter mit rein. Woher bekommt man das aber in einer Konsumwelt, die aus Hamburgern, Leberkässemmeln und Dürüm besteht? Ja, diese Frage konnte ich auch nicht beantworten.


Optimal wäre, sich für den Dienst etwas zu essen mitzunehmen. Nicht jeder hat so einen Tupper-Fetisch wie ich und so ist es natürlich nicht immer ganz einfach das Essen von zu Hause in das Autochen zu transportieren. Und ständig Schüsseln und Besteck herum zu tragen ist auch nicht das Gelbe vom Ei (mir ging es nach 2 Tagen auf die Nerven). Der Erwerb von Lebensmitteln unterwegs ist auf die Dauer recht kostspielig und letztlich auch ein bisschen einseitig, denn unterm Strich bleibt es immer das Selbe: Brot, Gemüse, Obst, Aufstrich, Käse oder Aufschnitt. Auch hier benötigt man zumindest ein Messer, das man von zu Hause mitnimmt. Standardmäßig neben dem FM-Transmitter und dem Navi führe ich nun auch Löffel und Messer in meinem Rucksack mit, um für die Mittagspause gewappnet zu sein. 

Und ich muss gestehen: Es hängt mir jetzt nach zwei Wochen schon weitestgehend zum Hals raus. Ich will kein Brot mehr. Ich kann Brot nicht mehr sehen. Auch das Reinschaufeln von Rohkost und Bananenchips ödet mich an. Überhaupt graust mir gerade vor nahezu jedem Essen, das ich nicht als „Frühstück“ verbuchen kann. Ich will Salat, aber der aus dem Supermarkt schmeckt nicht.
Naja. Alles in allem ist und bleibt es nicht einfach „on the road“ etwas zu Essen aufzutreiben, das die Cholesterinwerte nicht sprengt. Pizza und sonstiges Junkfood hängt – zumindest mir – wirklich schnell zum Hals raus und wer heikel ist, hat sowieso verloren.
Ich bleibe erstmal bei Rohkost, Joghurt, Dinkelwaffeln und etwas Aufstrich, den ich nebenbei knabbere. Solange mein Blutzucker nicht im Keller ist, ist ja sowieso alles ok. Vielleicht stolpert die Wallewasweißich mal über diesen Eintrag und beglückt uns mit ein paar Tipps die uns allen den Alltag erleichtern. Wollen wir die Hoffnung mal nicht aufgeben.