Freitag, 25. Februar 2011

Nummer 25. Ohne Zucker. Mit Rührstäbchen. Und dazu ein Hofknicks. Danke!

Als ich noch eine kleine Sanitäterin war, habe ich IHM schon ehrfürchtig hinterher gesehen. Viele Legenden bekommt man zu hören, wenn man über IHN spricht. Wie viel davon wahr ist: Ich weiß es nicht aber es interessiert mich auch nicht. Denn wer IHN kennenlernt, der weiß, dass die Geschichten, die sich bei Kaffee und Red Bull im Aufenthaltsraum erzählt werden, nur Schall und Rauch sind. ER ist einzigartig. ER ist großartig. ER ist vermutlich auch unartig, aber das geht mich nichts an. Denn ER hat sich meiner angenommen. Ich unwürdiger, sich windender Wurm, darf beim Sensai des Rettungsdienstes lernen. Was für eine Ehre. Was für eine Aufwertung meines Erfahrungsportfolios. Ich muss jetzt noch hinzufügen: IHN kann man nur in Blockschrift schreiben, alles andere wäre seiner unwürdig.

Als ich meinen vielen, lieben Sanitäterfreunden erzählt habe, dass ich bei IHM mitfahre, haben alle geschmunzelt. „Mal sehen, wie lange er dich erträgt“ haben sie gesagt. Und dann war es soweit. 18.40 Uhr. Aufenthaltsraum. „Guten Abend“ trällere ich IHM entgegen. „Ich fahre heute mit euch, hat der Mario dich schon vorgewarnt?“. ER aber zwinkert mich nur freundlich an, sagt „Natürlich“ und begrüßt die anderen Kollegen. „Na, wo ist mein Kaffee?“ fragt er Peter, der gerade mit der Faust ausholt um IHM in den Arm zu boxen. Peters Faust berührt ihn aber noch nicht mal, da hat ER schon zum Gegenschlag angesetzt, nimmt Peter in den Schwitzkasten und sagt „Ich warte auf meinen Kaffee!“. Peter gibt nach kurzem Gerangel klein bei. Beide lachen. Cappuccino ohne Zucker. So geht das wohl schon seit Jahren - zumindest scheint es, als wäre das absolut normal und man würde sich eher daran stören, wenn dies nicht stattfände.
„Du wirst heute auch ein bisschen fahren“. Ich sehe mich um. Meint ER mich? „Sehr gerne“ – antworte ich ungläubig und füge hinzu: „Ich bin aber auch sehr glücklich wenn ich nur Sani bin“. ER sieht mich an. „Nein, du sollst ja auch ein bisschen Spaß haben. Ich habe das mit der Leitstelle schon besprochen. Und der Mario meinte, du sollst auch etwas lernen“. Debil grinse ich vor mich hin. ER lässt mich fahren. Das glaubt mir niemand. Peter wird ausgerufen, zum ersten Einsatz diese Nacht. Am Weg nach draußen umarmt er mich und sagt „Du machst das schon“. Und mir wird plötzlich bewusst, wer dann rechts neben mir auf dem Beifahrersitz sitzen wird. Wenig später werden auch wir ausgerufen, es geht Richtung 13. Bezirk zu einem Asthmaanfall. ER fährt noch selbst. ER ist eins mit dem Auto, kennt jeden Zentimeter, windet das Auto mühelos um Kurven, Hindernisse, kurzfristig in der Kreuzung stehenbleibende Autos und singt zu The Real Thing: „You, to me, are everything – the sweetest song that I can sing – OH BABY!“ Ab und zu sieht ER in den Rückspiegel, zwinkert mich an und spricht mit Mario. Wir schreiben Transportscheine, weil unser Cardevice kaputt ist. „Kannst du das?“ fragt ER mich. Ich zwinkere und antworte „Natürlich“. Die Einsätze verlaufen entspannt. Keiner von uns gerät in Stress, Mario vermittelt zwischen Patienten, Krankenhausangestellten und Angehörigen. Und uns. Sodass ich mich ganz auf die jeweilige Arbeit konzentrieren kann. Als ich gegen Mitternacht von der Krankenhausübergabe zurück zum Auto komme, stehen ER und Mario draußen, trinken Kaffee und rauchen. „Du fährst jetzt“ sagt ER. Ich bekomme weiche Knie. Zwar habe ich meinen Führerschein seit 2005 und ich fahre im Jahr an die 10.000 Kilometer, aber IHN neben mir sitzen zu haben, von IHM beurteilt zu werden… Das ist neu. Ich schlucke, steige auf der Fahrerseite ein. Und versage auf ganzer Linie. Ich meine mich zu erinnern, dass ich nicht einmal bei meiner ersten Fahrstunde dermaßen unfähig war. Es lässt sich für mich kaum in Worte fassen was für einen Mist ich gemacht habe. Die Spur nicht gehalten, zu schnell gefahren. Einmal beinahe über eine rote Ampel. Gefühlte tausend Mal bin ich bereits zum Wilhelminenspital gefahren. Ich sage anderen Leuten den Weg an (ohne Navigationsgerät) und finde in dieser Nacht nur mit Müh und Not in die Montleartstraße. Aber ER bleibt ganz entspannt. Fragt mich, was für einen Hund ich habe, erzählt von seinem eigenen. Zwischendurch weist ER mich darauf hin, dass ich eine Vorrangverletzung begangen habe – ist aber nicht so schlimm, ist ja nichts passiert.
ER ist so cool und entspannt, obwohl ich so viel Blödsinn mache, dass ich mich zusehens schlechter fühle. Millionen Stoßgebete sende ich gen Nachthimmel, damit dieses Auto ganz bleibt und ER mich nicht hasst. Wir rücken irgendwann ein, gehen in die Ruheräume. Morgens noch eine Ausfahrt, danach stehen wir im Aufenthaltsraum. Mental stelle ich mich darauf ein, dass es unser letzter gemeinsamer Dienst war. Ich bedanke mich für SEINE Geduld, sichere IHM zu seine Tipps zu beherzigen und schleiche von dannen. Gerne würde ich untertauchen, aber Mario hat ja meine Handynummer und so erreicht mich eine SMS von ihm. „Wann fährst du wieder mit uns?“. Ich traue meinen Augen kaum, rufe Mario an, wehklage von Unwürdigkeit und Schmach und Schande. Mario aber meint nur: „Ach was. ER kann dich gut leiden. Also, wann fahrst du wieder mit uns?“.
Ich kann es kaum glauben. Ich fasse mein Glück nicht. Wir machen noch drei weitere Dienste. ER zeigt mir die ganzen „alten“ Tricks, erklärt mir Hintergründe und Zusammenhänge. Und lässt mich fahren. Meine Unsicherheit vergeht, die Gesetzesübertretungen nach StVO werden weniger. ER erzählt mir von sich und seinem Leben, stellt Fragen. Ich antworte ausufernd. Beim letzten Dienst ist es soweit. Ich fahre meinen ersten Blaulichteinsatz mit IHM als Beifahrer. Ich bin schon oft mit Blaulicht gefahren, ich bin in der Hinsicht auch eine recht gute Beifahrerin. Aber an diesen Einsatz werde ich mich ewig erinnern. Eigentlich wollte ich einrücken, als uns plötzlich der Einsatz mit einem Charly-Code aufs Cardevice gelegt wird. Ich sehe IHN fragend an, biete ihm an kurz stehen zu bleiben, damit wir Platz tauschen. Aber ER sagt nur „Du machst das schon, ich bin ja dabei!“ und wir fahren weiter. Mit zittriger Stimme kündige ich an „Ich schalte jetzt das Blaulicht ein!“. „Ja, sehr gut machst du das. Fahr nur!“ antwortet ER. Es ist 23 Uhr, ich will auf der Sechshauserstraße auf 55km/h beschleunigen. „Bleib ruhig, wir brauchen nicht schneller als Fünfzig fahren.“. Ich nicke, drossle die Geschwindigkeit und rolle zur roten Ampel. Gerade als ich mich vortasten möchte, sagt er „Bleib stehen. Wir haben keinen Stress.“ Ich nicke wieder, entspanne die Beine, warte auf Grün. ER sagt mir geduldig die Straßen an, wir singen gemeinsam „You, to me, are everything – the sweetest song that I can sing – OH BABY!“. Ich fühle mich sicherer, deutlich mehr „in meinem Element“ als zuvor. An einer Kreuzung bleibe ich wieder stehen, taste mich langsam vor. Von der Seite bedeutet ER mir, die Geschwindigkeit zu mäßigen und mich noch langsamer vorzutasten. Ich zwinkere IHN an und sage „Ich kann das. Mach dir keine Sorgen.“. ER lächelt und sagt „Ich weiß, ich bin ein schlechter Beifahrer!“. Wir singen.
Bevor ich irgendwo hinfahre, nenne ich ihm den Weg, er segnet diesen ab und lehnt entspannt an der Beifahrertüre. Für gutes Verhalten lobt er mich ausdrücklich, das kommt nun auch schon häufiger vor. Der Schmäh rennt, die Stimmung ist gut. Am nächsten Morgen stehen wir nach einer unruhigen Nacht im Aufenthaltsraum. Ein Kollege kommt, will IHM den Kaffee zahlen, doch ER lehnt ab. „Das hat die Manon schon erledigt. Sogar mit Umrührstäbchen!“.

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