Wenn man so viel Zeit inmitten von Sanitätern diverser Organisationen und anderen Menschen aus der Blaulichtszene verbringt – sei es dienstlich oder privat – bekommt man einen ganz eigenen Lifestyle. Für mich hatte das zur Folge, dass ich für jene Gesten, die gemeinhin als „romantisch“ oder „rührend“ interpretiert werden, so gar nichts mehr übrig habe. Ich mag eine direkte Art und wenn man unverblümt sagt was Sache ist. Aber fallweise gibt es sie, die Augenblicke wo mir ganz warm ums Herz wird und ich schmachtend Seufze, weil dieser kurze „Schwächemoment“ mich so verzückt hat:
# Der unverstellte Blick eines Kollegen, mit dem ich mein wieder gewonnenes Single-Dasein gefeiert habe, verschafft mir immer noch eine Gänsehaut am ganzen Körper. Zwar ist es schon einige Monate her dass wir diese Nacht miteinander verbracht haben aber der Gedanke an diese unverfängliche Zusammenkunft weckt immer noch schöne Erinnerungen, die ich mit einem Lächeln quittiere.
# Meinen Ex-Freund, mit dem ich dreieinhalb Jahre liiert war, habe ich bei einem gemeinsamen Ambulanzdienst kennen gelernt. Wir waren auf der gleichen Hilfsstelle eingeteilt. Ein Funkspruch kam herein, dass eine bewusstlose Person im Bereich 1. Rang Süd liegen würde. Wir sind gemeinsam hingelaufen, haben den Kerl aus den Sitzreihen gezogen und auf die Trage verfrachtet. Als der Patient sich übergeben wollte, hat mein Ex-Freund mich recht unfreundlich darauf aufmerksam gemacht, dass ich die Nierentasse halten soll. Nachdem der Patient abtransportiert wurde, habe ich ihm gesagt dass er ein Idiot ist und sich auf seine unfreundliche Art gar nichts einzubilden braucht. Tags darauf sind wir miteinander Essen gegangen und noch einen Tag später sind wir bei ihm auf der Couch gesessen und haben „Butterfly Effect“ geschaut. Um 23 Uhr wollte ich gehen und er hat gefragt, ob ich nicht noch 10 Minuten bleiben will. Um 23.30 Uhr habe ich gesagt dass ich jetzt aber wirklich gehen muss. Nachdem er noch zwei Mal erfolgreich Überzeugungsarbeit geleistet hat und die öffentlichen Verkehrsmittel ohnedies längst nicht mehr gefahren sind, habe ich bei ihm geschlafen. Wirklich nur geschlafen. Ohne Coitus. Von da an waren wir zusammen.
# Auch wenn ich mich sehr sattelfest fühle, freue ich mich doch wenn ich bei einem Transport oder einem Einsatz nicht an meine mentalen und fachlichen Grenzen gehen muss, sondern einfach entspannt mit einem Patienten plaudern kann um ihm die Zeit zu vertreiben. Einer dieser Patienten ist mir gut in Erinnerung geblieben. Wir haben ihn nur zum Ausschluss einer Fraktur auf eine Unfallchirurgie gebracht. Auf der Fahrt dahin hat er mir den einen oder anderen Schwank aus seinem Leben erzählt. Und dass all seine bisherigen Krankheiten und Verletzungen gegen die Unannehmlichkeiten, die er jetzt hat, verblassen. Das haben wir in einer Endlosschleife während der ganzen Fahrt gehört. Weil ich aber immer noch recht viel Empathie besitze, verstehe ich diesen Umstand und habe mich mehrfach für eben diese unschöne Situation, die lange Wartezeit und die holprige Fahrt und überhaupt alles, was irgendwie gerade einfach blöde war, entschuldigt und versucht ihm glaubhaft zu versichern, dass die Heimfahrt sich weitaus angenehmer gestalten wird weil dann ja auch schon die Schmerzen besser sind. Als wir dann endlich im Krankenhaus angekommen sind, haben wir den Herrn aus dem Auto gehoben und er ist beinahe ohnmächtig geworden weil ich an der Hebe-Aktion beteiligt war und meinte, das könne doch nicht sein dass eine Frau schwer heben müsse und und und. Auf meinen Einwand hin dass ich genau die gleiche Arbeit leiste wie meine Kollegen und so emanzipiert bin, dass ich Extrawürsteln verweigere, musste er einfach lachen und meinte er hätte so etwas noch nie gehört. Vom Auto zur Erstuntersuchung war er dann sehr ruhig, geradezu in sich gekehrt. Wir haben ihn den Ärzten übergeben und gerade als ich mich verabschieden wollte, greift er meine Hand, sieht mich an und sagt „Schönes Kind, wenn ich ein paar Jahre jünger und Sie ein paar Jahr älter wären, dann würde ich sofort nach Ihrem Namen fragen und verlangen, dass wir einander wieder sehen. Weil ich aber ein alter Trottel bin und die Zeit nicht ändern kann, möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken dass Sie sich so um mich bemüht haben. Es war eine Freude von Ihnen begleitet zu werden und wenn man mir verspricht, dass ich wieder so eine bildhübsche Zivildienerin bekomme, dann freue ich mich schon auf den nächsten Teppich, der mich zu Fall bringt.“ – Ja, er hat tatsächlich „Zivildienerin“ gesagt.
Ärzte und Schwestern sind glotzend daneben gestanden als dieser nette, alte Mann mit der riesigen Brille auf der Nase meinen Arm durchgeschüttelt hat um seine Dankbarkeit auszudrücken. Es sind sehr seltene Momente, in denen sich Patienten auf diese Weise erkenntlich zeigen und mir bedeutet das auch selbst nach fünf Jahren immer noch sehr viel wenn jemand sich nur durch mein Zureden schon besser fühlt.
# Wenn man viel mit Männern – gerade in dieser Branche – zusammenarbeitet, darf man keine Hemmungen vor derben Witzen haben – man muss aber die Balance finden, dabei noch eine Frau zu bleiben. So trug es sich zu, dass ich mit einem meiner Kollegen, mit denen ich gerne Dienst mache weil wir nahezu den gleichen Humor haben, wieder das Niveau Limbo tanzen ließ und wir haben anstößige Bemerkungen gemacht, die glücklicher Weise kein Außenstehender gehört hat. Während der Fahrt haben wir gemeinsam zu den Guano Apes gepogt und gemosht. Und wenn man dann mit einem Transport fertig ist, raucht man klassisch noch eine Zigarette bevor es weitergeht. So auch bei uns. Ich bin im Windschatten der offenen Beifahrer-Türe gelehnt und habe diesmal bei der Verteilung der Zigaretten dankend abgewunken und aufgrund meiner Müdigkeit sinnentleert in die Ferne gestarrt. Mein Kollege stand neben mir und meinte plötzlich „Schau nicht so billig, so kauft dich ja keiner!“. – „Macht nichts, ich hab’s so nötig dass ich eh kein Geld dafür verlangen könnt!“. Und plötzlich, aus heiterem Himmel, schlingt dieser bösartige Mensch, vor dem ich bis vor kurzem noch eine Mischung aus Ehrfurcht und Angst hatte, seinen Arm um meine Schultern, drückt mich, küsst mich auf die Wange und sagt „du bist schon extrem in Ordnung, so wie du bist“.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen