Dienstag, 11. Januar 2011

Interview mit einem Sanitäter

Wann und warum bist du zum Rettungsdienst gegangen?

Jänner 2005 - Wegen dem Zivildienst.

Warum bist du geblieben?

Die Arbeit macht Spaß. Es gibt selten Berufe, in denen man so viel Abwechslung hat, wie im Rettungsdienst. Man lernt neue Zivildiener kennen und befreundet sich mit diesen… was dann auch lange hält. Man macht etwas Sinnvolles für die Bevölkerung. Man genießt (zwar nicht mehr so wie früher) einen gewissen Respekt in der Öffentlichkeit. Wirklich interessant ist es, wenn man zu einem Patienten kommt, der einfach nicht weiter weiß, und man während des Gesprächs und dem Transport in ein Spital, merkt, wie es ihm langsam besser geht, allein nur durch zuhören, zureden und Verständnis zeigen.

Wann fühlst du dich richtig gefordert?

Würde ich jetzt „nie“ schreiben, würde ich lügen… Gefordert bin ich eigentlich nur, wenn es um die „richtige Handhabung bei Psychosen“ geht, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Reanimation, Amputationen, Polytraumen und Schockzustände sind zwar schwierig und umfangreich zu behandeln, wenn man aber mit einer gewissen Routine und Ruhe arbeitet, ist alles davon „leicht“ zu bewältigen.

Was nervt dich an unsrem Rettungssystem oder deiner Organisation?

Wenn man das Wiener Rettungssystem mit dem „am Land“ vergleicht, sind wir eigentlich nur ein besseres Taxi. Jeder ruft wegen Kleinigkeiten die Rettung und erwartet sich die „achsogute“ Wunderheilung. Ländlich fährt die Oma ohne Führerschein den Opa mit einem akuten MCI immer noch selbst ins nächste Spital… der ASB im ganzen gesehen ist eigentlich eine der besten Organisationen, auch wenn jeder darüber meckert.

Ein paar Worte zu einer Interaktion mit einem Patienten, die dir nachhaltig in Erinnerung geblieben ist?

Wir sind mit einer 26-A-1 Berufungsdiagnose (keine Notfallsymptome, erkrankte Person) in die klassische Nobelgegend gekommen: Slums im Arbeiterbezirk. Eine ungepflegte Wohnung. Beim Reinkommen hätte ich um ein Haar den kleinen Hund zertreten, die ganze Wohnung war ziemlich abgefuckt. Zunächst dachten wir, die Frau, mit der wir uns unterhalten haben, sei die Patientin. Bis wir plötzlich Stöhnen aus dem Schlafzimmer hörten. Beim öffnen der Zimmertüre kam uns eine Duftwolke entgegen, die mich und meinen Zivildiener beinahe niedergeknüppelt hätte. In dem Zimmer lag in einer „Bettenburg“ ein kachektischer Mann in alarmierend schlechtem Allgemein- und Ernährungszustand. Überall lagen Decken und Handtücher auf ihm und unter ihm. Nach einem tiefen Zug des Sterilium-Geruchs und dem Versuch ein Anamnesegespräch zu führen, wurde uns klar dass dieser Mann seit mehreren Wochen nicht mehr aufgestanden ist, seine Notdurft daher auch stetig im Bett verrichtet hat und die Frau augenscheinlich mehr als überfordert mit der Situation war. Auf die Frage, wo denn die Frau schläft, meinte sie nur lapidar „Na, daneben natürlich!“ – …Natürlich.
Als wir versucht haben, den Patienten aus seinem Matratzengefängnis zu befreien, habe ich beim Anheben der Handtücher gesehen, dass sich die Haut mit ablöst. An mehreren Stellen hat er bereits zu verwesen begonnen, andere Bereiche waren regelrecht mit dem Untergrund und den Handtüchern verwachsen. Wir haben dann beschlossen ihn mitsamt dem Untergrund zu hospitalisieren. Trauriger Weise war der Hund das normalste Lebewesen in dieser Umgebung.
Bei der Ankunft im Krankenhaus haben sich mein Zivildiener und ich erstmal im Bereich des Eingangs übergeben, woraufhin der Portier zu uns gelaufen kam und uns schon schimpfen wollte was uns einfällt hier hinzukotzen – bis er vor dem Auto stand und auch er ein dezentes Näschen von dem Odeur aufnehmen konnte – und sich ebenfalls übergeben hat. Letztlich hat die komplette Abteilung dann mitgeholfen, den Patienten möglichst schonend vom Auto in das Krankenhaus zu bekommen. Die darauf folgende Intensivpflege des Autos dauerte mehrere Stunden. Als letzten Transport des Dienstes haben wir einen selbstständig gehenden Dialysepatienten bekommen, der beim Einsteigen in das Auto gefragt hat, ob da jemand verstorben sei, weil es immer noch so erbärmlich gestunken hat. Zehn Minuten und zwei vollgekotzte Nierentassen später konnten wir ihn in die Dialysestation entlassen und unseren Dienst beenden.


Gibt es Personen in deinem Job, die dir ein Vorbild sind – wenn ja, wer/warum?

Vorbilder zu haben ist schwierig… möglicherweise sind es einfach nur Menschen, die man wegen ihrer Art, wie sie mit Situationen umgehen, mehr respektiert als andere…

Wenn jemand dir erzählt, dass er auch die Sanitäterausbildung machen möchte, was würdest du ihm sagen?

Bevor du in Erwägung ziehst, in den heiligen Club der Sanis einzusteigen, sei dir darüber im Klaren, dass du mit abgetrennten Gliedmaßen, extremen psychischen Belastungen, unstillbaren Blutungen, schwierigen und verwirrten Patienten, schweißtreibenden Wandertagen mit liegenden Personen (+ 150kg) in den 7. Stock klar kommen musst. Du musst immer „ja“ und „Amen“ sagen, egal wer etwas will…. Kannst du damit leben, bist du richtig im Rettungsdienst

Sollten Frauen auch Zivildienst machen müssen?

Nein, aber sie sollten die Möglichkeit haben, einen sozialen Dienst auf freiwilliger Basis gegen Entschädigung machen zu dürfen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen