Dienstag, 18. Januar 2011

Schweigepflicht vs. Selfmade-Supervision

Alles, was im Umgang mit dem Patienten passiert, gesagt oder gemacht wird, unterliegt der Schweigepflicht. Ärzte, Polizei und eine Hand voll anderer Auserwählter sind hiervon sinnvoller Weise ausgenommen. Sobald aber kein Name oder sonstige Daten genannt werden, die bewirken dass ich durch die weitergegebenen Informationen sofort weiß um wen es sich handelt, greift die Schweigepflicht nicht mehr. Nun gibt es hier diesen Graubereich, in welchem Sanis sich gegenseitig im Aufenthaltsraum die tollsten Geschichten erzählen, Superlative hin und her werfen und je derber, desto lieber. Nachdem hier keine Geburtsdaten oder Namen genannt werden, ist das also legal. Ob es moralisch in Ordnung ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Es gestaltet sich nun so dass es natürlich KIT, PEER und Supervision gibt – aber mal ehrlich, wer gibt denn freiwillig zu dass er mit dem erlebten alleine nicht mehr fertig wird und daher Hilfe benötigt? Das ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft und wer Patientenkontakt hat, versteht sie.
Sieht man also zwei Sanitäter die sich treffen, werden sofort die Räubergeschichten ausgepackt und der verbale Schwanzvergleich beginnt. Stehen dann vielleicht noch Bekannte daneben, kann man beobachten wie von Geschichte zu Geschichte die Gesichtszüge der umstehenden Menschen immer mehr entgleisen, angesichts der vermeintlich menschenfeindlichen Einstellung und der abschätzigen Aussagen.
Ich kann hier nur zur Nachsicht aufrufen. Sanitäter zu sein heißt, sich zu einem großen Teil im sozialen Bodenlurch zu bewegen. Ständig mit vor sich hinsterbenden Greisen, vernachlässigten Kindern und sonstigen emotional durchaus belastenden Fällen zu tun zu haben schreit förmlich danach, in irgendeiner Form Distanz zu diesen Erlebnissen zu suchen. Und dann soll man genau das, was einen so belastet, einem fremden Menschen erzählen, der zwar eine Peer-Ausbildung, aber noch nie einen bettlägrigen Menschen aus einem Hospiz geholt hat? Mit nichten.
Ich persönlich kann jemandem, der noch nie in vergleichbaren Situationen war, überhaupt nichts von meiner Aufregung, meiner Sorge oder meiner Angst erzählen. Da bevorzuge ich den Kaffee oder das Bier nach dem Dienst um mit einem Kollegen gemeinsam darüber zu reden, zu lachen oder zu schimpfen. Es ist die einzige Form von „Distanz dazu bekommen“, die für mich anwendbar und hilfreich ist.
Und es sind auch nicht die zerfetzen Gliedmaßen oder sterbenden Menschen, die einen Nachts nicht schlafen lassen oder über die man immer wieder in den eigenen Gedanken stolpert. Es sind die Menschen, in deren verkorkstes Leben wir kurz blicken, ihnen zehn Minuten lang zusichern dass es schon wieder werden wird und die wir dann wieder sich selbst überlassen müssen, ohne auch nur ansatzweise etwas sinnvolles für sie tun zu können. Es sind die alten Menschen auf der Bettenstation und in Altersheimen, die von ihren Pflegern schlecht behandelt werden, die Kinder, die von ihren Eltern vernachlässigt werden und die Menschen, die jede Kontrolle über sich und ihr Leben verloren haben.
Einer meiner Praxisanleiter ist nun Feuerwehrmann und als wir uns letzthin getroffen haben, haben wir über die gute alte Zeit geplauscht und natürlich die ganzen Geschichten hervorgekramt. Als er mir aber von seinen aktuellen Einsätzen erzählt hat, habe ich ihn gefragt, ob denn wenigstens bei der Feuerwehr eine sinnvolle Form der Supervision angeboten wird. Es hat ihn ein müdes Lachen gekostet und folgende Beschreibung: „Wenn uns etwas belastet, gibt es da einen Automaten, in den wirft man zwei Euro. Dann kommt eine Hand raus, klopft einem auf die Schulter und sagt ‚wird schon wieder!’. Wenn das nicht hilft, wirft man noch Mal zwei Euro rein, dann kommt sie noch Mal und sagt ‚so, jetzt musst aber allein damit fertig werden’.“

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