Samstag, 1. Januar 2011

Ersthelfermaßnahmen - ein Tabuthema (Teil 1)

Ein Teilbereich der rettungsdienstlichen Aktivitäten ist die Schulung von Laien für den Ernstfall. So müssen Führerscheinanwärter in Österreich einen sechsstündigen Erste-Hilfe-Kurs besuchen, der sie befähigt im Falle eines Unfalls Erste Hilfe leisten zu können. Soweit die Theorie.

Was lernt man also in einem solchen 6-stündigen Erste-Hilfe-Kurs?

Grob zusammengefasst das richtige Bergen und Reagieren in einer Unfallsitation. Zusätzlich noch eine kurze Einführung in die Baywatch-Disziplin "Reanimieren am Unfallort" und natürlich die Erklärung, warum es wichtig ist auf den, der am Boden liegt, draufzudrücken und reinzupusten.


Der typische Kursant ist ein 17jähriger Schüler, der diese sechs Stunden möglichst schnell hinter sich haben will. Der Kursleiter hat genaue Vorgaben an die er sich zu halten hat - wenn die Zeit und der Wissensdurst der Teilnehmer es erlaubt  kann man auch noch auf etwaige Fragen oder ähnliches eingehen. Und das war's meistens. Mehr Schulung oder sonstigen Input an Erste-Hilfe-Szenarien genießt der Durchschnittsbürger in seinem weiteren Leben nicht mehr. Sechs Stunden, die man auch nur opfert weil der Gesetzgeber das so sagt? Ja - traurig aber wahr: Mehr ist nicht vorgesehen. Ok, ein paar motivierte Menschen machen vielleicht noch einen 16-stündigen Breitenschulungskurs weil sie in einem Betrieb arbeiten der einen Ersthelfer benötigt, aber danach kommt eigentlich nichts mehr. Schockierend angesichts der Tatsache, dass unser Gehirn einen Zeitraum von plusminus einer Minute ohne Sauerstoff kompensieren kann. Danach sind Zellen oder ganze Areale irreparabel geschädigt. Und das alles nur, weil niemand da reingepustet oder draufgedrückt hat, während man auf die Rettung warten musste.

Wahllos ein Szenario aufgegriffen: Jacqueline trifft ihre Nachbarin im Stiegenhaus, diese klagt bei den Stufen über Herzschmerzen und fällt plötzlich um. Jacqueline hat vor 10 Jahren ihren Erste-Hilfe-Kurs im Zuge des Führerscheins gemacht und seither nie von den damals erworbenen Kenntnissen Gebrauch machen müssen. Und plötzlich bekommt sie die volle Breitseite. Jacqueline muss nun also feststellen ob die Nachbarin noch bei Bewusstsein ist und atmet. Wer kann sich nach 10 Jahren noch erinnern, wie eine Atemkontrolle aussieht? Und vorallem: Weiß Jacqueline noch wie eine suffiziente (also "wirksame") Atmung ausgeführt wird? Wie überprüft man den Bewusstseinsstatus? Und was rückschließt man aus der Reaktion des hilfsbedürftigen Menschen?
Bis Jacqueline bemerkt, dass sie aus dieser Situation ohne Fremde Hilfe nicht mehr rauskommt vergehen also zumindest zwei Minuten. Sie wählt die Notrufnummer 144 und hängt hier zumindest 15-20 Sekunden in der Warteschleife - realistisch ist aber eine Wartezeit von etwa 40 Sekunden bis eine Minute. Der Leitstellendisponent arbeitet sein Abfrageschema ab (nochmal eine Minute) und schickt unverzüglich eine Mannschaft mit Auto los. Diese hat am Tag eine Minute Zeit von der Alarmierung bis zum Losfahren (wir sind also mittlerweile von Nachbarins Zusammenbruch bis zum Zeitpunkt, an dem die Wagenmannschaft losfährt bereits bei zumindest fünf Minuten).
Wenn wir jetzt also optimistisch sind und auf das First-Responder-System eingehen, das da besagt dass in zehn Minuten ab Alarmierung ein Auto beim Patienten ist, gehen wir also von plusminus acht Minuten Anfahrtsweg aus. Kommt die Mannschaft an (und wir gehen weiters davon aus dass das Stiegenhaus aus unserem Beispiel sofort gefunden wird) dauert es zwei Minuten vom Aussteigen aus dem Auto bis zum ersten Handgriff am Patienten. In Summe haben wir also einen optimistischen Zeitraum von 15 Minuten vom kausalen Geschehen bis zum Eintreffen der professionellen ersten Hilfe.
Klar macht der Rettungsdienst die präklinische Versorgung und wird alles menschenmögliche tun, damit man die bestmögliche Prognose für den Patienten erarbeitet wird. Aber vielleicht hat Jacqueline in 15 Minuten entscheidende Handgriffe gemacht oder Maßnahmen gesetzt, die die Prognose der Nachbarin entsprechend verbessert haben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen