Freitag, 7. Januar 2011

Mr. Ulcus Cruris - “Tribute to Toni“


Ich kann mich noch sehr gut an meine erste Begegnung mit dem Toni erinnern. Er war nämlich nicht da. Hat die Wohnungstür offen gelassen und einen Zettel hingehängt, er wäre Zigaretten holen gegangen weil wir so lange gebraucht haben. Damals war ich sehr froh, denn ich habe von Toni allerhand Geschichten gehört. Toni hat epileptische Anfälle so authentisch vorgespielt, dass Leute, die ihn nicht kannten darauf reingefallen sind. Erst die Androhung von Polizei und Amtsarzt hat Toni wieder „gefügig“ gemacht, wenn man es so nennen möchte. Toni hat im Rettungsauto geraucht und Alkohol getrunken. Er hat Autos wegen seinen Randale-Anfällen ruiniert und Sanitäter, Ärzte und Polizisten einfach so attackiert. Frauen mochte er überhaupt nicht, weswegen ich die wenigen Male, wo ich ihn zu Gesicht bekommen habe, meistens außen vor war um ihn nicht aufzuregen. Obwohl Toni verlebt und ausgemergelt war, brauchte es zumindest fünf Leute von der WEGA um ihn zu bändigen, wenn er sich wieder einmal „gespürt“ hat und es wissen wollte.

Sanitätstechnisch kann ich von Toni also nicht viel erzählen, ich habe mich auch aufgrund seiner Antipathie Frauen gegenüber nie darum gerissen zu ihm zu fahren. Aber ein paar Fakten über ihn will ich hier nennen, nicht zuletzt deswegen, weil ich immer noch gerne wissen würde was in einem Leben passieren muss, dass man so wird wie er.

Toni war Mitte der 60er geboren. Er war Alkoholiker, Kettenraucher, Epileptiker, Junky, Misogyn, Sternzeichen Krebs, Rassist, Homosexuell – und er hat mit der Welt und dem Leben abgeschlossen. Toni hat sich ausschließlich vom Arbeiter Samariterbund transportieren lassen. Das war auch die einzige Organisation die sich (bzw. ihren Sanitätern) diesen Patienten angetan hat. Er hat das Sozialsystem missbraucht wie kein Zweiter. Ich kenne niemanden aus dem medizinisch/rettungsdienstlichen Bereich, der nicht zumindest eine Geschichte vom Toni kannte oder selbst schon über ein unangenehmes Erlebnis berichten konnte. So hat er in einem Krankenhaus vor den Röntgenbereich gekackt, Ärztinnen angespuckt und einem Sanitäter eine Hodenprellung zugefügt. Einfach so.
Bei der 80-Jahr-Feier des Arbeiter Samariterbundes am Rathausplatz kam er an allen drei Tagen der Feier und lag am Ende sturzbetrunken seitlich vom Wolfgang Ambros Konzert. Toni hat dort allerdings alle (inklusive der anwesenden Frauen) außerordentlich freundlich begrüßt, hat Sanitäter aus dem Fahrdienst, die privat dort waren, erkannt und mit seiner verkrüppelten Hand Glückslose gekauft – jedoch nichts gewonnen.
Man wusste von Toni nicht mehr als das, was er in seinen diversen Rauschzuständen erzählt hat. Nahe Angehörige waren offenbar nicht da. Einige wechselnde Sexualpartner hatte er über die Jahre verteilt. Zivildiener hat er gerne in seiner Wohnung eingesperrt und ihnen angedroht sie aufzuschlitzen oder ähnliches.
Privat habe ich Toni bei einem seiner unvergleichlichen Darbietungen auf dem Stephansplatz gesehen, wo er in einer Passage eben wieder einen Epi vorgespielt und dann die Sanitäter der Wiener Rettung wüst beschimpft hat, sie sollen ihn doch in Ruhe lassen. Er trug damals einen braunen Nadelstreifanzug und war überraschend gepflegt. Ich war so verwundert dass ich gleich meinen Freund anrufen und ihm das erzählen wollte.
In den letzten eineinhalb Jahren seines Lebens wurde es dann Still um Toni. Sein Geschwür am Bein machte ihm scheinbar zu schaffen, er war für immer längere Zeiträume in stationärer Behandlung. Auch seine diversen anderen Infektionskrankheiten zehrten an seiner Substanz. Im Alter von 45 Jahren ist er dann auf irgendeiner Station verstorben. Von seinem Tod hat man nur deshalb Notiz genommen, weil plötzlich die Einsätze auf der Mariahilferstraße und in seiner Wohnsiedlung ausgeblieben sind.

Toni hat mal einen Ausweis hergezeigt, auf dem er schockierend normal ausgesehen hat. Woher das verlebte Gesicht, der irre Blick, die labile Psyche und die massiven Körperlichen Schäden und Krankheiten gekommen sind: Man weiß es nicht. Er hat behauptet, es wäre die Epilepsie-Medikation, die ihn so zerstören würde.

Kein Nachruf. Kein „trotz allem hoffe ich, dass er einen friedlichen Tod hatte“ oder ähnliches Geplänkel. Toni war durch und durch bösartig und hat nichts hinterlassen, das auch nur Ansatzweise die Idee vom schrulligen, bärbeißigen, grantigen aber armen alten Mann aufkommen lassen könnte.

Bisher konnte dich niemand ersetzen. Wollen wir hoffen, dass es so bleibt.

2 Kommentare:

  1. Darf man sagen, dass man sehr wohl wusste und auch zum Teil weiß woran er im Endeffekt von uns ging? Im Rausch dürfte er oder einer seiner "Liebhaber" die Wohnung angezündet haben und der Liebhaber verstarb nach wenigen Tagen - Toni hingegegen kämpfte noch 1 1/2 Monate und verlor dann den Kampf im selben Spital in dem weitere Berühmtheiten wie Dr. Helmut Zilk verstarben.

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  2. klar darf man. ich habs nur son bissl elegant-mysteriös umschrieben wegen der Datenschutzgeschichte :)

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